Entwicklung des Júdó

Die Wurzeln des Kódókan-Júdó liegen in den klassischen japanischen Kriegskünsten, den sogenannten koryù-bugei, die haben sich über die Jahrhunderte entwickelt und verfeinert. Während der Jahrhunderte, in denen Kriege geführt wurden, entwickelten sich zahlreiche Formen des Kampfes mit und ohne Waffen, aber erst Mitte des 16. Jahrhunderts wurden diese zunehmend formalisiert und durch die ryù-ha (ryù=Schule/Stil; ha=Zweig) strukturiert überliefert.

Jù-jutsu, (altern. auch yawara oder tai-jutsu) war einer dieser Formen. Hier wurde ohne, oder nur mit leichten Waffen, gegen einen unbewaffneten oder bewaffneten Gegner gekämpft. Jù-jutsu diente in erster Linie als Ergänzung zum Waffenkampf, insbesondere zum Schwertkampf. Die Techniken umfasste Wurftechniken, Gelenkhebel aller Art, Würgetechniken sowie Schläge und Tritte. Ziel der Techniken war das Ausschalten des Feindes auf dem Schlachtfeld. Kitò-ryù und Tenjin-shin´yò-ryù sind wichtige Schulen für die Entstehung des Kódókan-Júdó, denn in diesen hat Jigoro Kano, unser Júdó Begründer, gelernt.

Jigoro Kano

Der Begründer des Kódókan-Júdó, Prof. Jigoro Kano, wurde am 28. Oktober 1860 in Kobe als Sohn eines einflussreichen Regierungsbeamten geboren. Der junge Jigoro bekam seiner Zeit die beste Ausbildung. Er besuchte verschiedene Eliteschulen und hatte zusätzlich Privatunterricht.
Wegen seiner schwächlichen Gestalt wurde Kano immer wieder von Mitschülern gehänselt. In diesem Zusammenhang wuchs, im Alter von 13 Jahren, sein Interesse an Jú-jutsu. Sein Vater war gegen die Aufnahme eines Jù-jutsutrainings, da er der Meinung war das diese alte Kunst unnütz sei.
1877 studierte er an der Toyo-Teikoku Universität von Tokio Literatur, Politik und Volkswirtschaft, Ästhetik und Moral. In diesem Jahr, im Alter von 17 Jahren, fand er, nach stetem Interesse an Jú-jutsu, endlich, seinen ersten Lehrer. Hachinosuko Fukuda (Enkelin Keiko Fukuda erste und einzige Trägerin des 9. Dan) war Meister des Tenjin-shin´yò-ryù und legte seinen Schwerpunkt auf Kata und Randori. Nach zwei Jahren mit Fukuda verstarb dieser plötzlich und Jigoro Kano studierte weitere zwei Jahre bei Masatomo Iso, der seinen  Schwerpunkt auf Kata legte. Kano wird 1881 Meister des Tenjin-Shinyo. Als M. Iso im Jahr 1881 ebenso verstarb, begann Jigoro das Studium von Kitò-ryú unter Tsunetoshi Iikubo der seinen Schwerpunkt auf Kata und Randori legte.
Der große Unterschied der beiden Ryu´s bestand darin das, der Tenjin-shin´yò-ryù viele Hebel, Würger, Schläge, Tritte und natürlich auch Würfe beinhaltete aber der Kitó-ryú war überaus reichhaltig an Sutemi-waza. Die Kata der Kitó-ryú wurden später unter der Bezeichnung Koshiki-no-kata in das Kódókan-Júdó übernommen. 1882 begründete Jigoro Kano seine eigene Schule den Kódókan in der auch Iikubo unterrichtete.
Im Ran o toru mit Meister Iikubo verlor Kano solange, bis er erkannte, dass „Ju“ eine Mischung aus Wurffertigkeiten und dem Augenblick des Kuzushi, des Gleichgewichtbrechens ist.
Er schlug Iikubo im Randori und erläuterte ihm den Grund hierfür:
„Zwinge deinen Gegner steif zu werden, bringe ihn aus dem Gleichgewicht und du kannst ihn werfen.“
Daraufhin erkannte Iikubo ihn als Meister an und weihte ihn in die überlieferten Okuden (Große Geheimnisse) seiner Schule ein und erlaubte ihm, die Bücher und Manuskripte zu erforschen.
Im Alter von nur 23 Jahren 1883 erhält Kano das menkyo-kaiden (höchste Lizenzstufe) der Kitó-ryú.
Jigoro Kano bekam, wegen seinem ungeheuren Interesse auch von  anderen Meistern densho (Schriftrollen) und kuden (mündliche Überlieferungen) und er erwarb weitere.

  • 1909 wird Kano erster Asiat im IOC
  • 1911 Kano erwirbt sich den Ruf des Vaters des modernen Sports in Japan. Kano unterstützt die Gründung der Japanischen Amateursportvereinigung, wird zu deren ersten Präsidenten gewählt
  • 1922 wird Kano ins Oberhaus des japanischen Reichstags gewählt
  • 1935 erhält Kano eine Trophäe von der Zeitung Asahi shinbun für seine Beiträge auf den Gebieten der Kunst, Wissenschaft und des Sports und bezeichneten ihn als den als „Vater des Sports“
  • 4. Mai 1938 stirbt Kano

Vom Jú-jutsu zum Júdó und seine Ziele

Jeder Meister hatte damals meist sein eigenes Jú-jutsu und dies bestand nur aus einer Sammlung von Techniken ohne Prinzip. Jigoro Kano fasst die Jú-jutsu Techniken zusammen, die das Prinzip „möglichst wirksame Gebrauch von geistiger und körperlicher Energie“, nutzten. Dieses Repertoire an Techniken  nannte Jigoro Kano Júdó
Dabei stand das Jú für die Sanftheit bzw. des Nachgebens und das Dó für den Weg für den Grundsatz.  Júdó=Weg des Nachgebens.
Júdó war kein neuer Begriff (18. Jh. In der Kito-ryú), aber er wurde jetzt offiziell eingeführt. Gründe für die Umbenennung des Jù-jutsu in Júdó waren zum einen das, dass  Jù-jutsu in einen schlechten Ruf geraten ist, er keinen vollkommen neuen Namen geben wollte und mit der Namensgebung wollte er den persönlichkeitsbildenden Anspruch seines Systems zum Ausdruck bringen. Nihon-den-Kódókan-Júdó.

Die drei Zieldimensionen des Kódókan-Júdó

  1. Leibesübung:
    Nützliche Fähigkeiten als oberstes Ziel um auch den Alltag zu bewältigen.
  2. Kampf:
    Im Bedarfsfall muss man sich auch verteidigen können. „Es bedeutet das Trainieren von Techniken, mit denen man einen Menschen töten, verletzen oder festhalten kann, oder, wenn man selbst angegriffen wird, sich zu verteidigen (gefährliche Techniken wurden nie in „offenen Situationen“ sondern in „abgesprochen Situationen“, Kata, trainiert).
  3. Geistig-moralische Entwicklung (diese umschließt drei Punkte):
    • Ausbildung der Moral durch Jita-kyoei (Prinzip des gegenseitigen Helfens und Wohlergehens).
    • Ausbildung des Verstandes durch Beobachtung (Beobachtung ist Grundvoraussetzung im Júdó); Erinnerung (Schulung des Gedächtnisses); Überprüfung (praktische Umsetzung); Phantasie („Selbst wenn man verschiedene Ideen zur Lösung eines Problems hat, so kann man keine gute Lösung finden, wenn die Einfälle nur zögerlich ins Herz fließen.“; Sprache (Lehrtätigkeit verbessert die Fähigkeit, komplizierte Dinge verständlich darzustellen); große Kapazität (Neuem gegenüber aufgeschlossen zu sein, denn wer seine eigene Meinung zu stark beschützt, kann keine Fortschritte machen.).
    • Theorie des Kampfes: Die Lektionen und Situationen im Dojo sind auf das alltägliche Leben übertragbar. Man kann hieraus einen Nutzen ziehen. Die wichtigsten Lektionen sind: Stärken und Schwächen des Gegners kennen und Strategien entwickeln, Initiative ergreifen und entschlossen handeln, dabei aber die Grenzen nie aus den Augen verlieren. Den letzten Punkt beschreibt Jigoro Kano als das „Mysterium Júdó“: „Im Sieg nicht stolz zu sein, in der Niederlage nicht aufzugeben. In der Sicherheit nicht nachlässig zu werden und in der Gefahr nicht die Nerven zu verlieren.“

Die technischen Prinzipien des Kódókan

Das „Jú“ in Júdó bedeutet weich, nachgiebig flexibel, auch geistig flexibel (jú-yoku-go-sei-suru=das Weiche kontrolliert das Harte).
Jigoro Kano verstand es komplizierte Dinge verständlich Darzustellen und er beschrieb das Jú so:

"Angenommen mein Gegner hat eine Stärke von 10 Einheiten und meine eigene Stärke hat den Wert von 7 Einheiten. Wenn er mich mit all seiner Kraft stößt, werde ich umfallen, da seine Kraft um 3 Einheiten größer ist als meine. Weiche ich aber genau in dem Moment seines Angriffs zurück, so wird er, da er einen Widerstand erwartet, der aber nicht erfolgen wird, nach vorne stolpern und sein Gleichgewicht für einen Moment verlieren, während ich selbst mein Gleichgewicht behalte. In diesem Zustand wird mein Gegner nicht mehr mit seiner ganzen Kraft kämpfen können. Seine Stärke ist vielleicht auf 3 gefallen. Ich dagegen besitze immer noch eine Stärke von 7 und kann ihn nun sogar mit nur der Hälfte meiner Kraft besiegen."

Das Jú-no-ri bedeutet letztendlich: Die eigene Kraft/Bewegung nicht unmittelbar gegen die Kraft/Bewegung des Gegners richten, sondern diese stattdessen im Richtungsverlauf weiter- bzw. umleiten und schließlich gegen ihn wenden.

Für die Anwendung des Jú-no-ri hat Jigoro Kano folgende wichtige Punkte aufgestellt:

Prinzip-Kuzushi (Gleichgewicht brechen)

  • Je kleiner die Fläche ist, auf der ein Gegner steht, umso leichter kann man diesen werfen. Dazu dient das Happó-no-kuzushi (die 8 Richtungen des Gleichgewichtbrechens)
  • Es gibt 3 Methoden das Gleichgewicht des Gegners zu stören:
    1. eigene Angriffe setzten
    2. Weiterleitung einer Uke Aktion
    3. Provokation einer Reaktion von Uke

Zum Kuzushi kommt noch die optimale Distanz und die günstige Gelegenheit hinzu.

Prinzip-der natürlichen Haltung

Kano hat zwei Körperhaltungen miteinander verglichen, welche sich besser eignet um das Prinzip des Nachgebens ausüben zu können.

  • Jigotai = abgebeugter Schwerpunkt, gebeugte Knie, breitbeinig. In dieser Position ist man zwar sehr stabil, aber nicht reaktionsschnell.
  • Shizentai = natürliche Stellung. In dieser Position ist man reaktionsschneller, beweglicher, kann Angriffen besser ausweichen. Diese Haltung solle man einnehmen und das Jú no ri ausüben zu können.

Prinzip des Bewegens

Beim Shintai (das „richtige“ gehen) und dem Tai-sabaki (das „richtige“ drehen) auf der Matte, sollte der Körper aufrecht gehalten werden, die Füße in der Nähe der Matte bleiben und der Oberkörper zentriert über der Stützfläche gehalten werden. Pendeln oder wippen ist unter allen Umständen zu vermeiden. Wer sich zentriert bewegt und einem Zug oder Druck zunächst durch korrektes Shintai und Tai-sabaki nachgibt, bevor er die Bewegung in eine andere Richtung lenkt, ist schwerlich aus dem Gleichgewicht zu bringen.

Die drei Möglichkeiten der kämpferischen Initiative

  • Sen-no-sen = komme deinem Gegner zuvor
  • Sensen-no-sen = Tori greift genau in dem Moment an, in dem Uke schon mental auf Angriff eingestellt ist, aber noch nicht die Angriffsbewegung begonnen hat.
  • Go-no-sen = Uke greift an und Tori kontert (Gegenwurf), „späte Initiative“.

Seiryoku-zenyó und Jita-kyóei – Júdó wird zur umfassenden Philosophie

„Je mehr man sich mit den vorstehenden Prinzipien befasst, umso mehr erkannte Jigoro Kano das diese nie ausreichen würden um alle Bereiche des Kämpfens abzudecken und zu erklären. Des Weiteren stößt das Jú-no-ri auf seine Grenzen, z.B. wenn ein Gegner ein Körperteil umklammert, ist es unmöglich der Kraft des Gegners nachzugeben oder auszuweichen. Dasselbe gilt für einen weitgehen oder sogar passiven Gegner. Hier arbeitet Jigoro Kano an einem Übergeordneten Prinzip. 40 Jahre nach Gründung des Kódókan (1923) hatte Jigoro Kano die Lösung dieser Fragen gefunden und führte die Prinzipien Seiryoku-zenyó und Jita-kyóei offiziell ins Kódókan-Júdó ein.“
Auf eine andere Art formulierte Kano sinngemäß: „Egal was das Ziel ist, man erreicht es am besten durch den effektivsten Einsatz seiner körperlichen und geistigen Kräfte.“. Egal was wir tun, stets wirken Körper und Geist zusammen. Für diese Dualität wählt Kano den Begriff „Seiryoku“.
Diese Energie so sinnvoll und effektiv zu nutzen, egal ob im Kampf oder zum allgemeinen menschlichen Handelns, nennt Jigoro Kano „zenyó“. Seiryoku-zenyó bedeutet also „Geist und Kraft gut gebrauchen“. Man solle Gutes tun und gleichzeitig effizient handeln, denn wer mit seiner Energie haushält, kann am Ende mehr Gutes tun.

Ergänzung durch Jita-kyóei

Die Wirkung eines einzelnen bleibt begrenzt. Es ist erforderlich das man sich Unterstützt. Dieses drückt Kano durch Jita-kyóei (wörtl. Übersetzt: „selbst und andere gemeinsam gedeihen“) aus.

Erweiterung der Ziele des Kódókan

Bereits 1918 hatte Jigoro Kano erläutert das man Júdó in drei Ebenen betrachten könne:

  1. Verteidigung von sich und anderen
  2. Kräftigung des Körpers
  3. Kultivierung des Geistes.

Nun setzt Kano noch eine Ebene darüber: nämlich die aktive Mitwirkung jedes Einzelnen bei der Entwicklung einer humanen Gesellschaft als höchstes Ziel des Kódókan-Júdó. Essenzielle Punkte hierfür sind:

  1. Leibeserziehung
  2. Ausbildung kämpferischer Qualitäten
  3. geistiges und emotionales Training mit dem letzten Ziel, sich selbst zu perfektionieren und seinen Beitrag zum Wohlergehen der Welt zu leisten

40 Jahre nach der Gründung des Kódókan, war die Philosophie des Kódókan-Júdó voll entwickelt. Das praktische Üben im Dójó war endgültig zum Mittel der Selbstperfektionierung als Basis für die Entwicklung der Menschheit geworden.
Júdó meint nicht mehr die Kampfkunst, sondern die Anwendung der beiden Prinzipien mit dem Ziel der Schaffung einer humanen Welt/Harmonie, in allen Bereichen des täglichen Lebens.

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